Studie zum ökologischen Seemanagement gewinnt nationalen Frontiers Planet Prize
Prämierte Studie zeigt: Flachwasserzonen stärken Fischbestände und Artenvielfalt
„Angesichts der immensen Bedrohungen für die Menschen und den Planeten brauchen wir mutige, transformative Lösungen, die sich auf Fakten stützen und wissenschaftlich fundiert sind. Innovative und skalierbare Lösungen sind der einzige Weg, um ein gesundes Leben auf einem gesunden Planeten zu gewährleisten,“ sagte Professor Jean-Claude Burgelman, Direktor des Frontiers Planet Prize.
Eine dieser Lösungen, die zur Kategorie „Naturbasierte Lösungen und Wiederherstellung von Ökosystemen“ gehört, ist in der Studie von Prof. Robert Arlinghaus und seinem Team beschrieben: Die Revitalisierung von Seen durch die Schaffung von Flachwasserzonen und das Einbringen von Totholz. Weltweit werden Millionen von Fischen in Gewässer ausgesetzt, um die natürlichen Fischbestände zu stärken. Dass diese sogenannte Fischbesatz-Praxis nicht immer erfolgreich ist und wie es besser geht, zeigt die in der Fachzeitschrift Science erschienene Studie. Die Besonderheit der Untersuchung von Arlinghaus und seinem Team ist unter anderem die enge Verbindung von Forschung und Anwendung und die Durchführung von wiederholten Experimenten auf der Ebene ganzer Seen in Zusammenarbeit mit der Angelpraxis.
Mehr Lebensraum ist besser als mehr Fische
Das Forschungsteam hat in einem Vorher-Nachher-Kontroll-Experiment über sechs Jahre in 20 Baggerseen verglichen, wie sich das Aussetzen von Fischen und die Aufwertung der Lebensräume auf die Fischbestände auswirken. „Das war ein einzigartiger Freilandversuch, in dem wir in enger Zusammenarbeit einer Vielzahl von Angelvereinen auf der Ebene des gesamten Ökosystems mit verschiedenen Bewirtschaftungsvarianten experimentiert haben. So ein großes, wiederholtes und vor allem kontrolliertes Ganzseeexperiment gab es in dieser Form bisher nicht. Es freut mich sehr, dass unsere Forschungsarbeit nun mit dem Nationalen Frontiers Planet Prize ausgezeichnet wurde“, sagt der Initiator und Koordinator des Projekts Professor Robert Arlinghaus.
„Über einen Zeitraum von sechs Jahren wurden rund 160.000 Fische und viele andere Tier- und Pflanzenarten vor und nach Maßnahmendurchführung beprobt, um zu untersuchen, wie die jeweiligen Organismengruppen auf die Schaffung von Lebensräumen oder das Einsetzen von insgesamt 40.000 einzeln markierten Fischen reagieren“, ergänzt der Erstautor der Studie, Prof. Johannes Radinger, ehemaliger Wissenschaftler der Arbeitsgruppe von Prof. Arlinghaus und jetzt Professor an der Hochschule Magdeburg-Stendal.
Einen wichtigen Beitrag zur Datenanalyse leistete Dr. Christopher Monk, inzwischen Leiter der Arbeitsgruppe Marine Behavioural Ecology am ºÚÁÏÊÓÆµ Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Er war während seiner Postdoc-Zeit am IGB maßgeblich an der Auswertung der umfangreichen Freilanddaten beteiligt und unterstützte auch die Überarbeitung des Manuskripts.
„Die Studie zeigte, dass ein ökosystembasiertes Management, insbesondere die Schaffung von Flachwasserzonen, den Fischbestand in den Seen und die Reproduktion von Fischen nachhaltig erhöhte und auch die Vielfalt anderer Organismengruppen wie Libellen oder Wasserpflanzen förderte“, erläutert Dr. Sven Matern, geteilter Erstautor der ausgezeichneten Studie und ehemaliger Doktorand von Prof. Arlinghaus. Die im Fischschutz gängige Praxis des Fischbesatzes, an der viele Angelvereine aber auch andere Naturschutzakteure weltweit häufig festhalten, ist in dem Versuch hingegen fehlgeschlagen. Das Einbringen von Totholz als Strukturelement zeigte gewässerspezifisch und artabhängig positive Effekte auf Fische und andere Organismen, war aber gegenüber der Schaffung von Flachwasserzonen weniger erfolgreich.
Angelvereine als wichtige Partner
Das von den beiden Ministerien BMBF und BMUV sowie dem Bundesamt für Naturschutz in den Jahren 2016 bis 2022 finanzierte Forschungs- und Umsetzungsprojekt BAGGERSEE, das Grundlage der Science-Publikation war, wurde in enger Zusammenarbeit mit Dutzenden von Angelvereinen im Anglerverband Niedersachsen e.V. (AVN) durchgeführt. Hunderte Personen aus der Angelpraxis waren an der Umsetzung der Managementmaßnahmen und der Datenerhebung beteiligt. Fischereibiologen des AVN planten und koordinierten die Umsetzung der Maßnahmen. „Die Ergebnisse haben direkte Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Angelvereine Seen bewirtschaften. Aktuell läuft ein Vermittlungsprojekt als Anschluss, in dem die Ergebnisse deutschlandweit an Angelvereine über die Projektregion Niedersachsen hinaus kommuniziert werden“, sagt Prof. Thomas Klefoth von der Hochschule Bremen, der das BAGGERSEE-Projekt zusammen mit Prof. Arlinghaus erdacht und ehemals als Fischereibiologe des AVN koordiniert hat.
Süßwasserfische sind gefährdet
Süßwasserfische gehören zu den am stärksten gefährdeten Wirbeltieren weltweit. In Deutschland beispielsweise gilt gemäß der Roten Liste der Süßwasserfische jede zweite Art als gefährdet. Einer der Hauptgründe ist der Verlust an angemessenem Lebensraum. Fischrückgänge haben weitreichende Folgen für die Gewässer sowie die Erwerbs- und Angelfischerei. Wirksame Erhaltungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen sind erforderlich, um den Fischrückgang umzukehren. „Ein vielversprechender Ansatz ist das ökosystembasierte Management, das darauf abzielt, wichtige ökologische Prozesse, Lebensräume und Beziehungen zwischen Arten zu verbessern oder wiederherzustellen, anstatt sich auf die Beseitigung einzelner Stressoren oder die Unterstützung einzelner Arten nur über Fischbesatz zu konzentrieren“, sagt Robert Arlinghaus. Dieser umfassende Ansatz ist jedoch oft kostspielig und mit hohen bürokratischen Hürden verbunden.
Ökosystembasiertes Management lohnt sich
Politische Entscheidungsträger zögern daher, in ökosystembasiertes Management zu investieren, solange es keine soliden wissenschaftlichen Belege für seine Wirksamkeit gibt. „Mit unserer großen experimentellen Feldstudie, die auch Kontrollgewässer einbezog und so belastbare Ergebnisse hervorbrachte, haben wir die Erfolgsaussicht Ökosystem-bezogener Maßnahmen nun auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt. Zentral ist, dass die Verbesserung der Ökosysteme die wichtigsten beschränkenden Habitate umfasst. In Baggerseen sind das Flachwasserzonen, in anderen Gewässertypen können aber auch andere Habitate wichtiger sein, wie z. B. die Wiederherstellung von Auen in Fließgewässern“, erläutert Robert Arlinghaus.
Nationale Champions mit Chance auf Millionenförderung
Die Nationalen Champions für wissenschaftliche Durchbrüche im Bereich Nachhaltigkeit wurden von einer Jury aus 100 renommierten Nachhaltigkeitsforscher:innen weltweit unter Vorsitz von Professor Johan Rockström vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ausgewählt. Die Nationalen Champions werden nun in die Endrunde des Wettbewerbs einziehen, in der im Juni 2025 drei internationale Champions vorgestellt werden, die jeweils eine Million US-Dollar für ihre weitere Forschung erhalten.
Original-Publikation:
Radinger, J., Matern, S., Klefoth, T., Wolter, C., Feldhege, F., Monk, C.T., Arlinghaus, R. (2023). Ecosystem-based management outperforms species-focused stocking for enhancing fish populations. Science, 379, 6635, 946-951.
Hintergrund: Frontiers Planet Prize
Der Frontiers Planet Prize ist ein internationaler Wissenschaftspreis, der seit 2022 von der Frontiers Research Foundation verliehen wird. Er zeichnet Forschende aus, deren bahnbrechende Arbeiten das Potenzial haben, die weltweite Umweltkrise zu entschärfen und das Ökosystem unseres Planeten zu stabilisieren.
Jedes Jahr wird in jedem teilnehmenden Land ein sogenannter National Champion ernannt. Aus diesem Kreis wählt eine unabhängige Jury — bestehend aus 100 Expert:innen — drei International Champions aus. Jede dieser drei herausragenden Forschenden oder Forschungsgruppen erhält eine Million US-Dollar, um ihre Arbeit weiter voranzutreiben und ihren Einfluss weltweit zu stärken.
Ziel des Preises ist es, ähnlich wie während der COVID-19-Pandemie globale Kräfte zu bündeln — diesmal aber im Kampf gegen die Umwelt- und Klimakrise.

Preisgekrönte Veröffentlichung: Die Studie zum ökosystembasierten Seemanagement entstand im Rahmen eines Projekts, in dem 20 Baggerseen in Niedersachsen ökologisch aufgewertet bzw. mit Fischen besetzt wurden.
Foto: Florian Möllers, IGB

Die Studie zeigt, dass insbesondere die Schaffung von Flachwasserzonen den Fischbestand in Seen und die Reproduktion von Fischen nachhaltig erhöht und auch die Artenvielfalt fördert.
Foto: Florian Möllers, IGB

Totholz im Flachwasser: Solche Strukturen schaffen wichtige Rückzugs- und Laichplätze für Fische und andere Wasserbewohner.
Foto: Florian Möllers, IGB